Goldene Steine

Bildung und Wissen sind wichtig – gerade weil Kinder und Jugendliche viele Fragen haben und sich manchmal aus Bruchstücken, die sie von den Erwachsenen aufschnappen, ihre eigenen „Wahrheiten“ zusammenreimen, die nicht immer vollständig sind oder aus denen die falschen Schlüsse gezogen werden. Und manchmal kann das Ausbleiben von Fragen, das Nichtwissen und fehlende Bildung zu gefährlichen Situationen führen.

So wie bei Leon im neuen Roman von Cornelia Franz, der aus dem Nichts und scheinbar ohne Grund plötzlich von zwei Typen angegriffen und brutal verprügelt wird.

„Goldene Steine“ von Cornelia Franz. Erschienen 2024 im Carlsen Verlag. 224 S., ab 12 Jahren.

Dass dieser Angriff mit einem kleinen Käppi zu tun hat, versteht Leon genauso wenig wie die extreme Aufregung des Mannes, dem er eine Woche zuvor genau dieses Käppi weggenommen hat. Ein Käppi, dass Leon nicht in Verbindung mit den Worten der Typen bringt, die ihn als “Jude” bezeichnen.

“Er weinte vor Schreck und Schmerzen und Nichtverstehen und weil ihn eine Brutalität getroffen hatte, die es in seiner Welt bisher nicht gegeben hatte.”

Goldene Steine, S. 9

Ein Jugendroman über Antisemitismus gestern und heute.

Nikolai, der damit groß geworden ist auf offener Straße vorsichtig zu sein und potenziellem Ärger im Vorfeld aus dem Weg zu gehen, entdeckt Leon zufällig nach dem Angriff und will ihm helfen. Doch als er aus der Wohnung zu ihm hinunter stürmt, ist Leon schon weg. Nur eine Kippa liegt noch dort, wo Leon eben noch gestanden hat. Und Nikolai, der mit seinen jüdischen Wurzeln instinktiv weiß, weshalb Leon angegriffen wurde, fragt sich, wer dieser Junge ist, dessen Hintergrund scheinbar auch jüdisch zu sein scheint und den er vorher noch nie gesehen hat. Doch seiner Oma und Mutter erzählt er lieber nichts von dem Vorfall, denn beide haben ständig Angst, wenn er unterwegs ist.

“Für eine Sekunde überlegte er, ob er ihr von dem Jungen mit der Kippa erzählen sollte. Doch er ließ es lieber bleiben. Sie würde sich nur aufregen. Warum sollte er ihr Angst machen?”

Goldene Steine, S. 12

Yara zieht gerade mit ihrem Vater in genau das Haus, in dem Nikolai lebt und von dem aus er den verletzten Leon gesehen hatte. Sie ist unglücklich darüber ihr altes Zuhause verlassen zu müssen, in dem sie sich so wohl gefühlt hatte. Sie wird alles sehr vermissen: Die größere Wohnung, die alte Nachbarin Frau Winter und der besondere Schatz, der vor dem Haus liegt. Ein Schatz, der für Yara viele Fragen aufwirft, der etwas besonderes ist und den scheinbar nur sie als wertvoll empfindet – goldene quadratische Steine, die in den Boden vor dem Wohnhaus eingelassen sind. Wer wohl die Menschen waren, deren Namen auf den Steinen stehen?

“Um diesen Schatz gab es ein Geheimnis, das die Erwachsenen nicht verraten wollten, das hatte Yara damals genau gespürt. Und schließlich war es Frau Winter gewesen, die ihr die Geschichte der Steine erzählt hatte.”

Goldene Steine, S. 7

Vergangenheit und Gegenwart werden hie geschickt miteinander verbunden.

In kurzen Kapiteln, die jeweils den Schwerpunkt auf einen der drei Jugendlichen legen und dessen Gedanken, Gefühle und Sichtweisen schildern, verbinden sich die Geschichten von Yara, Leon und Nikolai nach und nach zu einer gemeinsamen. Sie lernen einander und auch sich selbst durch die Begegnung immer besser kennen und finden heraus, dass geschichtliche Ereignisse und das, was heute passiert, nicht getrennt voneinander betrachtet werden kann.

Dazu trägt Yaras ehemalige Nachbarin Frau Winter bei. Sie erzählt von ihrer früheren Freundin Ella Cohen und ihrer Familie, denen die goldenen Steine vor Yaras einstigem Wohnhaus gewidmet sind. Die Geschichte von Ella, die nur 11 Jahre alt wurde, bevor sie damals von den Nazis abtransportiert wurde. Die Geschichte geht Yara nahe und führt dazu, dass sie versteht, dass die Ausgrenzung, der Hass und die brutale Gewalt gegenüber Juden nicht der Vergangenheit des letzten Jahrhunderts angehört.

Mit unglaublichen Einfühlungsvermögen erzählt Cornelia Franz eine berührende Geschichte von tiefer Freundschaft, vergangenen Greueltaten und Parallelen in der heutigen Zeit, von Angst im Alltag und persönlicher Schuld sowie von ständiger Veränderung im Leben. Eine eindrückliche Geschichte, die den Antisemitismus früher und heute als (leider immer noch) aktuelles Thema in den Fokus rückt und mit Fingerspitzengefühl und viel Klarheit Geschichte und Gegenwart miteinander verbindet. Eine Geschichte, die durch vielschichtige Charaktere glänzt, nachhaltig beeindruckt und so wichtig ist, dass sie von allen Jugendlichen und Erwachsenen auf jeden Fall gelesen werden sollte.

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Vielen Dank, lieber Carlsen Verlag, für dieses beeindruckende Rezensionsexemplar – Werbung (Markennennung), unbezahlt und unbeauftragt

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