Der Totenkopf

Ein Mädchen begegnet nachts im dusteren Wald einem Totenkopf. Das ist das Grundgerüst einer alten Tiroler Volkssage, die Jon Klassen neu interpretiert und in ein Vorlesebuch für Kinder gepackt hat.

Eine dunkle und schaurige Geschichte für Kinder – ist das wirklich das Richtige? Und dann auch noch mit diesem gruseligen Titel. Ja, absolut! Denn die Geschichte bietet viel mehr als nur Gruselfaktoren – Warmherzigkeit, Willensstärke und eine ungewöhnliche Freundschaft.

“Der Totenkopf” von Jon Klassen, übersetzt aus dem Englischen von Thomas Bodmer. Erschienen 2023 im NordSüd Verlag. 112 S.,m ab 6 Jahren.

Otilla, die unerschrockene und mutige Protagonistin dieses Buches, läuft eines nachts von zu Hause weg und in den dichten, dunklen Wald hinein. Sie kennt diesen Wald, sie ist darin aufgewachsen. Doch als sie tiefer hineingelangt, wo sie sich nicht mehr auskennt, gelangt sie im Morgengrauen zu einer Lichtung und einem alten, sehr großen Haus, wo sie sich ausruhen möchte.

Der Bewohner des Hauses, ein Totenkopf, öffnet ihr freundlich die Tür, zeigt ihr das Haus und gestattet Otilla zu bleiben. Mit absoluter Selbstverständlichkeit unterhalten sich die beiden, teilen das Essen, genießen die Aussicht auf dem Turm des Hauses und tanzen im Ballsaal miteinander.

Fürsorge und Respekt füreinander schwingen in ihren Gesprächen mit und zeigen den zuhörenden oder lesenden Kindern, dass es weder für Otilla einen Grund gibt Angst vor dem Totenkopf zu haben, noch, dass der Totenkopf mit etwas Angsteinflössendem, Negativem in Verbindung gebracht werden muss.

Die Neuinterpretation einer Tiroler Volkssage…

Als sie sich nach einem gemeinsamen, schönen Abend das Bett zum Schlafen teilen, erscheint ein Skelett – das Skelett, das jeden Abend den Totenkopf durchs Haus verfolgt, weil es ihn für sich haben möchte und vor dem sich der Totenkopf fürchtet. Otilla steht dem Totenkopf bei, rettet ihn vor dem Skelett und findet eine recht radikale Lösung, um den Totenkopf endgültig von dem Gerippe zu befreien.

Eine Lösung, die man wahrscheinlich eher einem Totenkopf als einem (scheinbar) kleinen Mädchen zugetraut hätte, wobei sich Otilla hier nicht erschreckt oder ängstlich zeigt, sondern es der Totenkopf ist, der beschützt werden muss und sich nicht zu helfen weiß.

Die Geschichte ist in ihrem Grundton sehr einfach erzählt und lässt Hintergründe aus: Wir erfahren weder, weshalb Otilla weggelaufen oder im Wald aufgewachsen ist, noch, wie der Totenkopf in das Haus kam oder warum das Skelett den Schädel unbedingt für sich haben möchte. Dies lässt Raum für eigene Ideen und Gespräche über die eigentlich groteske Erzählung, die mit großer Natürlichkeit daherkommt. Sie strahlt neben einer geheimnisvoll-düsteren Stimmung auch viel Lebendigkeit aus und zeigt uns, dass überall, selbst bei einem Totenkopf Veränderungen möglich sind. Denn der Besuch von Otilla eröffnet ihm ganz viele Optionen: Mal wieder eine Birne oder einen warmen Tee zu genießen, das schreckliche Gerippe loszuwerden, Gesellschaft zu haben oder sogar feste Regeln des Hauses zu verändern und damit Spaß zu haben:

„Was sind das für Masken?“, fragte Otilla. „Die habe ich früher gesammelt“, sagte der Totenkopf. „Kann man die aufsetzen?“, fragte Otilla. „Die sind nur zum Anschauen“, sagte der Totenkopf.

aus „Der Totenkopf“

… die mehr bietet als „nur“ ein wenig Gruselfaktor:

Dass die beiden danach mit genau diesen Masken, durch die sie sich plötzlich ähnlich sehen, durchs Haus gehen und gemeinsam durch den Ballsaal tanzen, vermittelt einen scheinbaren Widerspruch, der sich durch das gesamte Buch zieht: ein junges Mädchen voller Leben und ein Totenkopf, Symbol für das Sterben und den Tod, scheinen die gemeinsam Zeit zu genießen, unterstützen sich gegenseitig, achten aufeinander. So dass den Lesenden gezeigt wird, dass das Leben und der Tod eben doch zusammen gehören.

Jon Klassen illustriert diese Geschichte zunächst in den dunklen Farben Grau und Schwarz, vermittelt in seinen Bildern und der Farbwahl mit den Rot-/Brautönen aber auch Wärme und Geborgenheit, vor allem im Haus des Totenkopfes und am Tag nach der Jagd auf das Skelett.

Das Spiel mit Schatten und Licht macht die Szenerie insgesamt geheimnisvoll und etwas unheimlich, aber gleichzeitig interessant und abwechslungsreich. Besonders auffällig sind die leuchtend weißen Augen von Otilla, die in einem starken Kontrast zu den dunklen Augenhöhlen des jedoch ansonsten strahlend weißen Schädels stehen.

Ein Buch, das besonders aufgrund seiner Vielschichtigkeit und seinen Interpretationsmöglichkeiten besonders spannend und neben dem kleinen Gruselfaktor voller Leben, Unterstützung und Freundschaft ist. Es nimmt uns in die Welt alter Sagen und Legenden mit, auch wenn die Geschichte von Jon Klassen verändert nacherzählt wird, was man in der Nachbemerkung erfährt. Wundervoll verändert, sonst würde dieses Buch heute nicht existieren.

Wer die originale Geschichte kennenlernen möchte, kann hier nachlesen: Tiroler Volkssage „Das Totenköpflein“

… Freundschaft, Mut und Zusammenhalt!

Ein Symbol dafür, dass das Leben und der Tod zusammengehören.

Hier gelangt ihr direkt zu unserem Instagram Kanal:

Vielen Dank, lieber NordSüd Verlag, für dieses besondere Rezensionsexemplar – Werbung (Markennennung), unbezahlt und unbeauftragt

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner