Im Land der weißen Schokolade

Wie fühlt sich ein 11Jähriger, der in der bedrückenden und engen Welt der sozialistischen Tschechoslowakei aufwächst und den Westen als Inbegriff von Freiheit und vielfältigen Möglichkeiten ansieht? In dem für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 nominierten Jugendbuch „Im Land der weißen Schokolade“ nimmt der Autor Martin Dolejš Bezug zu seinen eigenen Erlebnissen der Flucht von der Tschechoslowakei nach Westdeutschland im Jahr 1980 und lässt damit die Leser*innen ab 11 nicht nur an seiner eigenen Lebensgeschichte teilhaben, sondern auch einen Blick in den Alltag von Jugendlichen in einem sozialistischen System werfen.

„Im Land der weißen Schokolade“ von Martin Dolejš. Erschienen 2021 im Magellan Verlag. 256 S., ab 11 Jahren.

Martin, der in Kralupy an der Moldau nahe Prag lebt, kann sich in seinem Alltag zwischen Schule, Sport und Familie ein anderes Leben nicht vorstellen. Doch seine Eltern, für die die Verhältnisse in der Tschechei unerträglich sind, schmieden Pläne, das Land zu verlassen und in den Westen zu flüchten. Zwischen allen den Versprechungen, die es im Westen geben soll, und Martins bunten Vorstellungen von einem Leben in Amerika, Italien, Schweden oder Deutschland mit Matchboxautos, westlicher Musik und weißer Schokolade trifft Martin die zwei Jahre ältere Ivanka. Für die Pionierleiterin und um ihr nahe zu sein, ist Martin bereit, in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei gegen seine Überzeugungen alles zu geben. So wird Martins Alltag, aber auch seine Gefühls- und Gedanken aufgespannt: Hin- und hergerissen zwischen seiner regimekonformen Tätigkeit bei den Pionieren, der ersten Verliebtheit zu Ivanka, der Abneigung zum System, den Fluchtplänen der Eltern, den Ängsten vor der Staatssicherheit und seinen Träumen vom Leben im vielversprechenden, goldenen Westen.

Dass Martins Gefühle nicht erwidert werden und Ivanka außerdem als linientreue Anhängerin der sozialistischen Ideologie auch bereit zu Denunziation ist, lässt ihn hoffnungsvoll auf die Flucht mit den Eltern und das neue Leben blicken. Unter dem Vorwand einer Sommerreise nach Jugoslawien geht 1980 los in Richtung Westdeutschland. Doch dann kommt alles ganz anders als geplant und Martin, der mit dem Schleuser allein flieht, muss seine Eltern zurücklassen.

„Ich freute mich auf Birnes schwäbisch-kalifornische Strandvilla. Er bog jedoch in eine Straße am Ortsrand ein, in der die Häuser im kleiner wurden, und hielt vor einer winzigen Doppelhaushälfte. ‚Da wären wir‘, verkündete er gut gelaunt. Das Doppelhaus sah aus wie unsere Platte in Kralupy. Nur viel kleiner.“

„Im Land der weißen Schokolade“ (S. 189f)

Den Reiz dieser Lektüre, die Leserinnen und Leser in die Grauzonen von Martins Leben mitnimmt, macht vor allem die breite Perspektive auf den Alltag und die Emotionen eines Kindes in einem restriktiven System, das zwischen Verbundenheit zur vertrauten Heimat und dem Abenteuer eines Neuanfangs, zwischen Kindheit und Jugend und zwischen Neugier und Angst steht, aus. Und das alles gepaart mit witzigen Ausdrücken und Situationskomik, die der Geschichte eine lebendige, humorvolle Note geben, ohne die Intensität und Ernsthaftigkeit außen vor zu lassen. Für Jugendliche, die (noch) nicht wissen wer Lenin oder was der Eiserne Vorhang war, können in das Glossar mit Erklärungen zu Begriffen aus dem ehemals sozialistischen Osten schauen.

Warum hat uns dieses Jugendbuch überzeugt?

  • Ein Buch für Jugendliche, das auch für Erwachsene Leser*innen eine spannend-turbulente Kombination aus Flucht, jüngerer europäischer Geschichte und autobiografischen Details bietet.
  • Ausgezeichnet mit dem „Korbinian – Paul Maar-Preis für junge Talente“ der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur 2021!
  • Nominiert für den Deutschen Literaturpreis 2021!

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Rezensionsexemplar – Werbung, da Markennennung

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