Fritzi war dabei

Leipzig im Herbst 1989. Fritzi geht in die 4. Klasse und freut sich nach 8 Wochen Ferien wieder auf die Schule. Nicht nur, weil sie als Jung-Pionierin jetzt das rote Halstuch tragen darf, sondern weil sie endlich alle ihre Mitschüler*innen wieder sehen kann. Doch am ersten Schultag fällt auf, dass nicht alle da sind. Sophie fehlt. Sophie, die mit ihren Eltern nach Ungarn gereist ist. Und auch die Eltern und der kleine Bruder berichten von anderen Familien, die nicht mehr da sind, weil sie über Ungarn in den Westen flüchten wollen. Nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause sind für Fritzi die Spannungen aufgrund der unterschiedlichen Einstellungen zu dem Land, in dem sie leben, und der Mauer, die sie von anderen Ländern im Westen trennt, spürbar. Aber sie bemerkt auch die Veränderungen, die sich mal leise und fast unbemerkt, mal unüberhörbar im Land und ihrem Leben ausbreiten:

„Eigentlich wollte ich sagen: ‚Mutti, bleib lieber hier!‘ Aber dann denke ich daran, wie wütend Papa und Mutti vor zwei Tagen waren. Da ist die DDR 40 Jahre alt geworden, und es gab eine große Feier mit einer Militärparade und langen Reden. Am Ende hat sogar Papa den Fernseher angeschrien: ‚Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich? Wir lassen uns nicht mehr so leicht verarschen!‘ Ich darf nie verarschen sagen. Aber Papa hat von Mutti dafür sogar einen Kuss gekriegt.“

„Fritzi war dabei“ (S. 53)

„Fritzi war dabei. Eine Wendewundergeschichte“ von Hanna Schott und Gerda Raidt (Illustrationen). Erschienen 2009 im Klett Kinderbuch Verlag. 96 S., ab 7 Jahren.

Die Geschichte, beschrieben aus Sicht der Protagonistin Fritzi, vermittelt in altersgerechter Sprache einen Eindruck vom Alltag und Leben in der DDR aus der Perspektive eines Kindes. Aber sie erzählt auch von der Stimmung in der DDR kurz vor der Wende: Von Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen, Festnahmen und Angst, davon, ob man besser den Mund hält oder sagt, was man sagen möchten, von der Freude über die Grenzöffnung von Ungarn und darüber, wie sich Fritzi von dem Wunsch nach Freiheit anstecken lässt.

„ ‚Sollen wir runtergehen?‘, frage ich Papa. Ich habe ein ganz kribbeliges Gefühl im Bauch, so als müsste ich gleich ganz dringend aufs Klo. ‚Auf keinen Fall, Fritzi“‘, sagt Papa streng. ‚Sonst kommen die mit den Lastwagen und schießen‘, sagt Hanno. Die Menschenmasse da unten zieht ganz langsam die Straße runter. Die, die jetzt kommen, rufen etwas anderes. Ich verstehe immer: ‚Gorbi! Gorbi!‘“

„Fritzi war dabei“ (S. 62)

Und plötzlich ist die Grenze offen. Wirklich offen, so dass Fritzi mit ihrer Familie zur Oma nach München fahren kann. In all der Aufregung, Euphorie, dem Staunen und Nicht-Glauben-können ist für Fritzi eines klar: Es ist einfach ein Wunder passiert.

Diese Geschichte schildert so einfach und dennoch eindringlich, wie ein normales Kind in der DDR die Ereignisse und Atmosphäre der Veränderung kurz vor dem Mauerfall wahrnimmt und erlebt. Ohne viel Pathos ist es besonders Fritzis Gefühls- und Gedankenwelt, die den Leser*innen aufzeigt, wie einschneidend und bedeutsam die Geschehnisse im Herbst 1989 bereits schon für Kindes waren, auch ohne die genaue Beschreibung der politischen Hintergründe.

Mit dieser Lektüre, die aus unserer Sicht in keinem Buchregal und Klassenzimmer fehlen darf, ist Hanna Schott gelungen, Kinder mit Spannung, aber ohne komplizierte Zusammenhänge, eine Situation und Zeit nahezubringen, die diese häufig nur aus den Medien kennen. Unterstützt wird der Text durch ansprechende und erklärende Illustrationen, die, mal mit einem Hauch Ironie, mal mit einer großen Portion Ernsthaftigkeit, halbe oder ganze Seiten füllen und besonders im Fall der Montagsdemonstration über zwei volle Doppelseiten transportieren, wie bedeutsam die demonstrierenden Menschen für die gewaltlose Revolution waren.

Mit Informationen der Autorin zu den Hintergründen und dem Wahrheitsgehalt der Lektüre werden die Leser*innen auf die Metaebene geholt und erfahren auch etwas über die Entstehung des Buches. 

Warum hat uns dieses Kinderbuch überzeugt?

  • Eine tolle Geschichte, die sich im Grundschulalter sehr gut selber lesen lässt und sowohl für die Lektüre zu hause als auch in der Klasse geeignet ist.
  • Ein wichtiges Buch, dass Kindern einen Eindruck von den geschichtlichen Hintergründen rund um den Mauerfall vermittelt, aber auch einen persönlichen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Kindes zu dieser Zeit zulässt.
  • Eine absolute Leseempfehlung: interessant, spannend und aufschlussreich.

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Rezension, selbst gekauft – Werbung, da Markennennung

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