China Buchtipps für Kinder und Erwachsene – Teil 1

Mein Buchtipp für ein chinesisches Kinderbuch ist ein fantastisches Bilderbuch, dass sehr tiefsinnig und berührend ist. Mit prachtvollen, künstlerisch gestalteten Bildern erzählt Chen Jianghong die Geschichte von den wirklich wichtigen Dingen im Leben, von Habgier und dem Glück von einem Leben mit geliebten Menschen bzw. dessen Verlust:

„Lian“ von Chen Jianghong, übersetzt von Erika und Karl A. Klewer. Erschienen 2015 bei Beltz & Verlag. 40 S., ab 4 Jahren.

Ein armer Fischer erhält aufgrund seiner Hilfsbereitschaft ein Geschenk von einer weisen Frau: Aus verzauberten Lotussamen wächst ein Lotusfeld und ein kleines Mädchen entspringt einer Blüte. Die kleine Lian, die eine magische Lotusblume mit sich trägt, verhilft dem Fischer zu Wohlstand und zieht dadurch die Aufmerksamkeit des Herrschers auf sich. Um Lian in seine Macht zu bekommen, entführt der Herrscher den Fischer, dem Lian zur Hilfe eilen möchte. Sie folgt dem Befehl des habgierigen Herrschers, alles in Gold zu verwandeln, was der Tochter des Herrschers nicht ausreicht: Sie möchte Lian die magische Lotusblüte entwenden und verwandelt sich im Moment der Berührung selbst in Gold, während die Zauberkraft der Lotusblüte gleichzeitig erlischt. Verzweifelt wird dem Herrscher bewusst, dass sein Reichtum den Verlust seiner Tochter nicht aufwiegt. Der Fischer und Lian hingegen, die nun ein normales Kind geworden ist, werden frei gelassen und leben trotz ihrer neuen ärmlichen Verhältnisse glücklich zusammen.

„Mitten in der Nacht weckt Herr Lo eine sanfte Melodie. Sie scheint vom Lotusfeld herüberzukommen. Zauberhaft glänzt dort eine der Blüten im Dunkeln.“

„Lian“ (S. 8)

Eine Geschichte voller Spannung, Magie und Weisheit, die nicht nur Kinder fasziniert, sondern auch Erwachsene in ihren Bann zieht. Und zwar vor allem durch die ausdrucksstarken Bilder, die neben dem minimalistischen Text, ihre große Wirkung entfalten und den besonderen Reiz dieses Buches ausmachen: Neben traditionellen Farben chinesischer Malerei wie Gelb und Indigo, Rot und Malachitgrün verwendet der Autor und Illustrator auch viele Grautöne und schafft mit dieser Kombination eine poetische und dramatische Stimmung. Auch die Motive folgen der traditionellen chinesischen Malerei: Die mit dunklen Pinselstrichen und feinen Linien gezeichneten Kaarstberg-Landschaften, Lotuspflanzen, Vögel auf verzweigten Bäumen, Fischerboote und Details des Herrscherpalastes heben sich von mit Tusche gemalten fließenden Hintergründen ab. Das einfache Leben des Fischers, welches auch das glückliche Ende der Geschichte darstellt und der Geschichte einen Rahmen gibt, steht mit einer Darstellung in trüben Farben den in kräftigen Farben abgebildeten Szenen der Zauberkraft Lians, dem Wohlstand, aber auch der Habgier des Herrschers gegenüber.

Ein wunderbar-fantastisches Buch, das die Leser*innen mit seinen künstlerischen Illustrationen ins traditionelle China mitnimmt und mit seinem märchenhaften Charme Klein und Groß verzaubert.

Meine Empfehlung für Erwachsene ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher: Der autobiografische Roman „Wilde Schwäne“, der die Familiengeschichte der Autorin in die chinesische Historie des 20. Jahrhunderts einbettet. Das Leben von drei Frauen, der Großmutter, Mutter und das eigene, wird im Lichte der chinesischen Geschichte vom Kaiserreich, während der maoistischen Herrschaft bis hin zur Umwälzung nach Maos Tod dargestellt und eindringlich beschrieben.

„Wilde Schwäne. Die Geschichte einer Familie. Drei Frauen in China von der Kaiserzeit bis heute“ (aktueller Titel: „Wilde Schwäne. Die Frauen meiner Familie“) von Jung Chang, übersetzt von Andrea Galler und Karlheinz Dürr. Erschienen 1991 im Knaur Taschenbuch Verlag (aktuell erhältlich im ‎Droemer Taschenbuch Verlag). Mit Fotos, Zeittafeln und Landkarten.

Mit klaren Worten, schnörkellos, aber umso bewegender gelingt es Chang, die persönliche Familiengeschichte mit der Geschichte des Landes zu verknüpfen und damit nicht nur die historischen Ereignisse zu dokumentieren, sondern auch einen Einblick in die chinesische Gesellschaft, in ihre Seele und ihr Denken zu geben. Dabei fließen nicht nur persönliche, sondern notwendigerweise auch viele historisch-sachliche Informationen in die Autobiografie, die dadurch an Stärke und Spannung gewinnt.

Dass das Buch ein weltweiter Erfolg und bis heute in China verboten ist, wundert nicht: Auf Grundlage von traditionell-philosophischen Lehren, wie dem Konfuzianismus, und ihren Auswirkungen bis hinein ins 20. Jahrhundert erzählt die Autorin von den letzten Zügen der Kaiserzeit, der japanischen Besetzung, der Herrschaft der Kuomintang und der Machtübernahme der Kommunisten. Vor allem auf die Ära während Maos Diktatur geht Chang besonders intensiv ein: die widersprüchliche und stark beeinflussende Propaganda, die politischen Kampagnen mit Denunziationen, Verfolgung und Gewalt, die Zeit des „Großen Sprungs nach vorne“, welche als Folge eine unbeschreibliche Hungersnot für Millionen von Menschen brachte, die grausamen Details der Kulturrevolution sowie der nachfolgenden Umerziehung der Jugend auf dem Land. Dabei wird auch das Denken linientreuen Revolutionärer, wie Changs Eltern, der kommunistischen Alltag und die Auswirkungen auf das Familienleben anschaulich beschrieben.

„Jede Äußerung von Liebe und Zuneigung für die eigenen Kinder war verpönt. Außer der Zeit zum Essen und Schlafen gehörte jede Minute des Tages der Revolution und musste mit Arbeit ausgefüllt sein. Wenn man seine Kinder in den Arm nahm, war das kein revolutionärer Akt, und alles, was ‚nichts mit der Revolution zu tun‘ hatte, musste mit einem Minimum an Zeitaufwand erledigt werden.“

„Wilde Schwäne“ (S. 290)

Mit diesem Buch – eines der wenigen, die ich mehrmals gelesen haben – hat man die Chance, sich der jüngeren chinesischen Geschichte anzunähern und einen Eindruck von einem Leben in einer Diktatur zu bekommen, die in einer freien und demokratischen Gesellschaft wie der unseren undenkbar erscheint. Vielleicht nicht gerade ein leichter Urlaubsschmöker, aber definitiv ein spannendes, ergreifendes und in jederlei Hinsicht lohnenswertes Buch.

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Rezension, selbst gekauft – Werbung, da Markennennung – Bildrechte: Beltz & Gelberg Verlag, DroemerKnaur Verlag

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