Als wir einmal einen kleinen Maulwurf dabei beobachtet haben, wie er sich ins Erdreich einbuddelt, haben wir uns gefragt, wie ein Leben unter der Erde wohl aussehen mag. Wie es ist ohne Tageslicht und mit ganz anderen Geräuschen und Gerüchen in einer Welt zu leben, die sich unter unseren Füßen abspielt und nur wenig Ähnlichkeit mit dem hat, die wir über der Oberfläche kennen.
Nicht nur Tiere, auch Menschen führen ihr Leben dauerhaft oder zeitweise unter der Erde – im Gegenzug zum Maulwurf, der es unter der Erde liebt, aber meist unfreiwillig und ohne Alternative. Zum Beispiel Menschen, die obdachlos sind und als Schlafstätte und Aufenthaltsorte U-Bahnstationen nutzen. Menschen, die sich keinen anderen Wohnraum leisten können oder die in klimatische Bedingungen leben, die es notwendig machen in Untergrundstädten zu leben. Oder Menschen, in deren Heimat Krieg herrscht und sie sich vor Angriffen in Kellern verstecken müssen.
In dem folgenden zeitlosen und dennoch so aktuellen Bilderbuch werden genau diese beiden Aspekte von zwei Künstlerinnen aufgegriffen und wunderbar poetisch in Wort und Bild ausgedrückt:
„Maulwurf und ich. Von wilden Zeiten und schützenden Kellern“ von Sarah Michaela Orlovský und Monika Maslovska (Illustrationen). Erschienen 2022 im Tyrolia Verlag. 26 S., ab 4 Jahre.
Ein Zuhause unter der Erde – wie bei Maulwürfen.
In Erinnerung an die Begegnung mit einem Maulwurf macht sich ein junges Mädchen, die Protagonistin dieses Buches, Gedanken über das Leben des Tieres in seinem Wohnraum unter der Erde. Womit es wohl spielt? Und hat der Maulwurf auch verschiedene Zimmer mit unterschiedlichen Funktionen?
Seite für Seite wird beim Lesen und Betrachten klar, dass das Mädchen mit dem Maulwurf eine besondere Verbindung hat: Auch sie lebt gerade im Keller, hat sich dort mit ihrer Familie, so gut es geht, wohnlich eingerichtet, vermisst aber das gewohntes Zuhause, ihr Zimmer und ihre Habseligkeiten. Ihr Vater scheint nicht dabei zu sein, nur ein Bild, das die Familie dabei hat, macht auf ihn aufmerksam. Angedeutete Stiefel von Soldaten lassen erahnen, dass Krieg herrscht und die Familie sich unter der Erde schützen muss.
Krieg und Flucht werden nur angedeutet.
Die Hoffnung auf eine neue Begegnung mit dem Maulwurf im Garten wird verknüpft mit der Hoffnung auf eine ruhige, friedvolle Zeit, in der ein Leben jenseits des Kellers wieder möglich ist. Diese Hoffnung wird mit den folgenden Worten als appellierenden Wunsch ausgedrückt und bringt dieses stimmige Buch zu einem eindringlichen Abschluss: „Bitte, lieber Gott, schick Frieden in die Köpfe der Menschen.“
Weder mit Worten noch mit Bildern wirkt dieses Buch bedrückend oder beängstigend, sondern schafft es, behutsam und zum Nachdenken anregend, Themen wie Krieg, Zuhause, Flucht und Trennung von Familien anzusprechen. Die Verbindung zwischen dem Mädchen zum Maulwurf, einem weichen Tier, das an einen Handschmeichler erinnert, die Analogie zwischen dessen Lebensraum und dem Leben des Mädchens im Keller, die eingesetzten helle Farben – all dies transportiert nicht die Schrecken eines Krieges, sondern Sehnsucht und Hoffnung auf dessen Ende.
Ein zeitloses Buch, das voller Hoffnung steckt.
Während der Text, der die Gedanken der Protagonistin mitteilt, sparsam eingesetzt wird, aber mit den wenigen Worten sehr nachhaltig wirkt, dominieren die Illustrationen aus Aquarell und Bleistift in einem zarten, feinsinnigen Stil. Sie verknüpfen Wort, Bild und die ganz persönlichen Gedankengänge und Interpretationen, für die diese Geschichte genug Raum lässt. Ein ruhiges kluges Buch, das aber mit seiner starken Wirkung viel Eindruck macht und vielfältig eingesetzt werden kann.
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Danke, lieber Tyrolia Verlag, für das wundervolle Rezensionsexemplar – Werbung (Markennennung), unbezahlt