Der Umfall

Wer diese Graphic Novel noch nicht kennt, sollte sie kennenlernen. Aber Achtung: Ihr werdet hier lachen, weinen, peinlich berührt sein, wegschauen oder helfen wollen und Einblicke in ein wahrscheinlich ganz unbekanntes Leben bekommen: Das Leben von Menschen mit geistigen Behinderungen. Ich garantiere euch: Es lohnt sich so sehr!

„Der Umfall“ von Mikael Ross. Erschienen 2018 im Avant Verlag. 128 S., ab 16 Jahren.

Noel ist ein ungewöhnlicher Junge. Und jetzt ein ungewöhnlich trauriger Junge. Denn seine Mutter, die er mehr liebt als anderes, liegt nach einem “Umfall” und der damit einhergehenden schweren Kopfverletzung im Koma. Dabei wollte Noel mit ihr doch bald auf das AC/DC-Konzert, für das er am Tag zuvor, an seinem Geburtstag, Eintrittskarten von ihr bekommen hat.

Doch von einem Moment auf den anderen ist alles anders für Noel, der Anzeichen einer geistigen Behinderung zeigt: Eben hat er noch mit seiner “Mumsie” zu seinem Geburtstag Marshmallows auf dem Balkon geröstet, nun ist er plötzlich mit einem fremden Mann im Auto unterwegs zu einem ihm unbekannten Ort. Ein Ort, an den er gebracht wird, weil er angeblich nicht mehr Zuhause leben kann – alleine, ohne seine „Mumsie“. Ein Ort namens Neuerkerode, an dem noch weitere ganz besondere Menschen leben. Ein Ort, der angsteinflössend ist und an dem Noel sich zuerst mal zurecht finden muss. Der zunächst noch geprägt ist von Heimweh und Sehnsucht, aber zunehmend vertrauter wird. Und völlig unerwartet beginnt für Noel an diesem Ort ein neuer Lebensabschnitt.

Wenn sich plötzlich im Leben etwas Gravierendes verändert …

Erzählt aus der Perspektive von Noel können Lesende in diesem beeindruckenden Comic nachvollziehen, wie es für einen Menschen mit geistiger Behinderung sein kann, wenn plötzlich etwas Überraschendes oder Ungewohntes passiert, wenn geliebte Menschen, die vertraute Umgebung und bekannte Strukturen plötzlich weg brechen. Denn durch seine Einschränkungen ist Noel auf sein Sicherheitsnetz angewiesen, ohne das er nun völlig verloren und aufgeschmissen wirkt.

Dieser Erzählperspektive verdanken wir auch einen sehr persönlichen Einblick in das Leben innerhalb der Behinderteneinrichtung Neuerkerode: Wie der Alltag aussieht, wie die dort lebenden Menschen miteinander wohnen, arbeiten, feiern, sich streiten und verlieben, welche persönlichen Probleme und Schicksalsschläge jede Person dort hat und dass es Menschen dort, wie auch überall an anderen Orten dieser Welt,

Dieser Comic hat mich mit seiner ehrlichen, skurrilen Daratellung sehr überrascht und berührt. Während ich beim Lesen anfangs von Noels Verhalten und dem der anderen Bewohner*innen in Neuerkerode manchmal beschämt war, habe ich die Charaktere und ihre eigene (Gedanken- und Gefühls)Welt mehr und mehr lieb gewonnen.

… kommt das einem „Umfall“ gleich, denn …

Die persönliche Geschichte von Noel rund um den Abschied von seiner Mutter und dem bisherigen Leben, die neue Lebenssituation und die große Veränderung vom Kind zum Erwachsenen, die mit all diesen Ereignissen einhergeht, wird hier in das Portrait von Menschen mit geistigen Behinderungen eingewoben.

Eine schonungslose Darstellung einer für die Lesende oft ganz eigenen, bizarr wirkenden Welt, die uns in ihrer ganzen Eigentümlichkeit aber deutlich aufzeigt, dass alle Menschen, egal mit welchen Einschränkungen oder Behinderungen sie leben, dieselben Gefühle haben und mit ihren persönlichen Besonderheiten nicht nur eigenartig, sondern besonders einzigartig sind.

Ein in meinen Augen bemerkenswerter Comic für Jugendliche und Erwachsene, auf den man sich, möglichst unvoreingenommen, einlassen muss, damit man seine ganze berührende Wirkung und Kraft spüren kann. Große Herzensempfehlung!

… denn alles Gewohnte (und man selbst auch) gerät ins Wanken.

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Danke, lieber Avant Verlag, für dieses ungewöhnliche Rezensionsexemplar – Werbung (Markennennung), unbezahlt und unbeauftragt

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