Im Gespräch mit Dr. Sebastian von Berg („Die Narben des Piraten“). Sein Buch stellen wir euch direkt hier vor (Link öffnet sich in separatem Fenster).
Worum geht’s dabei?
Was passiert bei einem Unfall, was macht eine schwere Verletzung mit uns selbst und unseren Angehörigen, was sind die Folgen und wie können wir lernen damit umzugehen? Für euch haben wir Sebastian befragt. Wir fragten ihn in seiner Rolle als Psychiater danach, wie Menschen lernen, mit Krisen umzugehen und wir schauten mit ihm hinter die Kulissen des Selfpublishing.
Lieber Sebastian, was liest du gerade für dich oder gemeinsam mit deinen Kids?
Das war unter anderem ‚Einstein’ das Mäuseabenteuer und ein paar Biographien für Kinder aus der Reihe Little People Big Dreams. Außerdem ein interessantes Buch, das sich mit der finanziellen Bildung für Kinder beschäftigt – ‚Ein Hund namens Money’.
Dann wäre da ja noch dein eigenes Buch. Wie kamst du zum Schreiben?
Bücher haben in meiner Familie einen hohen Stellenwert. Doch sehe ich mich selbst eher als Leser und halte mich weniger für einen Schreiber. Wie ich dazu kam, lässt sich recht einfach beantworten. Im Dezember 2009 geschah ein Unfall. Unser Kind – damals fast 2 Jahre alt – erlitt schwere Verbrühungen. Von jetzt auf dann kippte unser Leben auf einmal um. Starke Sorgen um das Kind, starke Schuldgefühle, weil ich den Tee in Reichweite des Kindes abgestellt hatte. Nun saßen wir Eltern abwechselnd im Krankenhaus neben seinem Bett und unser Leben stand still. Ich erinnere mich an ein Telefonat mit einem Freund, der mir sagte, dass mein Sohn das schon schaffen werde. Dieser Freund ist genau wie ich Psychiater und was er da zu mir sagte bezieht sich im Grund darauf, sich mit vermeintlichen Schwächen auseinanderzusetzen und den Fokus zu gewinnen, wie man in unserem Fall aus Narben das Beste machen kann. Narben können also etwas Cooles sein, für das man sich nicht schämen braucht, eine Art Abzeichen. Das war unser Weg.
Wie fand das Erlebte und eure Einstellung dazu den Weg ins Buch?
Am Krankenbett drehten sich die Gedanken wild im Kreis. Wir mussten Trost spenden und Mut machen, das alles irgendwie verarbeiten. Ich begann Geschichten zu erzählen, Seemannsgarn zu spinnen. So nach und nach gesellten sich Strichmännchen zu diesen ausgedachten Erzählungen. Später habe ich am Computer mit ‚Pirates of the Caribbean‘ Scribbles die Geschichte visualisiert. Dann lag dieses Werk vor uns – so ungefähr 1,5 Jahre. Im Jahr 2011 sprach mich dann eine Kollegin an, ob nicht ein weiterer Kollege von uns das Ganze mal grafisch bearbeiten könnte, um daraus ein richtiges Kinderbuch zu machen, das seinen Weg zu vielen kleinen und großen Lesern findet. Das war der Startschuss für Timms und meine Zusammenarbeit. Nach ca. einem Jahr Arbeit entstand so ein fertiges Fotobuch und wir alle fanden es erstmal ziemlich cool.
Wie hat euch als Familie dieses persönliche Buch ganz genau geholfen und wie ging es mit dieser ersten Version weiter?
Es war die Botschaft, die sich mit diesem Buch nochmal ganz stark in unserer Familie verankert hat. Wenn heute bei uns zuhause ein Schnitt passiert, kriegt man zwar erst einmal einen Schreck, dann kommt aber auch ziemlich schnell die Frage: wird das eine Narbe? Diese innere Haltung hat sich in unseren Alltag integriert. Wir dachten einen Schritt weiter und überlegten, ob das Manuskript nun zu einem Verlag sollte. Nach anfänglichem Zögern habe ich mich dann doch überwunden und 2013/2014 rund 20-30 Verlage angeschrieben. Viele Jahre vergingen und die waren gefüllt mit Absagen. Ich ließ die Sache ruhen… bis Corona kam und das Umdenken. An unserem Kühlschrank hängt eine Postkarte von Timm mit einer Zeichnung unserer Familie. Als ich auf das Bild schaute, dachte ich mir ‚habe ich alles, was ich in meinem Leben erledigen wollte, zu Ende geführt?‘ Ich fasste einen klaren Entschluss – wir werden das Buch veröffentlichen. Jetzt.
Alles klar – das ist ein großer Schritt, ein Buch selbst zu veröffentlichen. Wie lief das ab?
Auf meinem Arbeitsweg liegt ein Verlag. Ich fasste allen Mut zusammen und ging rein. ‚Guten Tag, ich habe ein Kinderbuch. Bitte verlegen sie das Buch. Ich zahle das selbst.’ Der Verlagsleiter und ich waren uns sofort einig. Von da an ging unser Projekt Selfpublishing seinen Weg. Und heute? Ja, das Buch erreicht viele Familien, die selbst betroffen sind, oder für Betroffene ein Verständnis schaffen möchten. Damals waren wir in der „Prof. Hess Klinik“ in Behandlung. Diese Klinik hat sofort einen ganz Schwung an Exemplaren abgenommen und gibt diese Bücher ihren Patienten mit an die Hand. Und auch der Verein „Paulichen e.V. – Initiative für brandverletzte Kinder“, den wir in unserem Buch vorstellen, hat hierüber bereits einige Spendeneingänge verzeichnen können.
Was kannst du abschließend aus all dem mitnehmen und was möchtest du davon weitergeben, auch im Hinblick auf das Schreiben?
Im Leben kann es zu Unfällen kommen, sie passieren. Wenn man solch ein Trauma erlebt und miterlebt, wird man zum Opfer. Kinder sind jedoch häufig gar nicht bewusst in dieser Opferrolle, die eine Krise mit sich bringen kann, weil Kinder sehr stark im Hier und Jetzt leben und das schützt Kinder unglaublich. Wenn wir es schaffen, unsere Perspektive zu ändern, kommen wir da am besten durch. Etwas zu unternehmen, bedeutet wieder Kontrolle zu bekommen. Durch das Schreiben und die selbstständige Veröffentlichung meines Buches habe ich die Kontrolle zurückgewonnen. Und wenn wir mal beim Buch bleiben, dann sehen wir, dass auch der Pirat durch seine Geschichten die Kontrolle zurück erlangt und die Geschichte neu für sich interpretiert. Schreiben ist eine sehr gute Möglichkeit, um Dinge zu verarbeiten, oder auch andere kreative Tätigkeiten wie Malen oder Gestalten.
Lieber Sebastian, danke für deine Offenheit und deine lebendige und motivierende Sprache. Alles Gute!
Wir möchten Sebastian für dieses persönliche Interview von Herzen danken! Und wir möchten euch auf die großartige Arbeit von „Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e.V.“ aufmerksam machen. Viele wichtige Informationen findet ihr auf deren Website: https://www.paulinchen.de (Dort ist ebenfalls eine einfache Spendenmöglichkeit eingerichtet. Oder alternativ: Bank für Sozialwirtschaft AG, IBAN:DE54 2512 0510 0008 4794 00, BIC:BFSWDE33HAN)
Bildrechte: Dr. Sebastian von Berg; Interview/Textrechte: Iris Birger