„Wir haben ein neues Kind in der Klasse, das kommt aus Syrien. Und weißt du, was merkwürdig ist? Immer wenn es heute in der Klasse laut wurde, ist es unter dem Tisch verschwunden.“. Ich greife ins Bücherregal, denn mit meinen eigenen Worten vermag ich nicht zu erklären, welche Erfahrungen dieses Kind gemacht haben muss. Kirsten Boies eindringliche Geschichte von Rahaf und ihrer Familie in „Bestimmt wird alles gut“ schafft mit der richtigen Mischung aus Einfühlungsvermögen, Leichtigkeit und Ernst in kindgerechten Worten und Bilder genau das: Kindern das Schicksal von Flüchtlingen näherzubringen und verständlich zu machen, welche Gefühle Menschen mit Kriegs- und Fluchterfahrungen in sich tragen können.
„Der Schaffner hat Papa eine Hand auf den Arm gelegt und gelächelt. ‚Viel Glück!‘, hat er auf Englisch gesagt. Dann ist er in den nächsten Wagen gegangen, um da die Fahrkarten zu kontrollieren. Eine Weile haben sie noch gewartet, weil sie es gar nicht glauben konnten. Dann hat Papa gelächelt. ‚So sind die Menschen in diesem Land!‘, hat er gesagt. ‚Jetzt wird alles gut.‘“
„Bestimmt wird alles gut“ (S. 29)
„Bestimmt wird alles gut“ von Kirsten Boie. Illustriert von Jan Birck. Übersetzung ins Arabische von Mahmoud Hassanein. Ausgabe zweisprachige Originalausgabe (Deutsch/Arabisch). Erschienen 2016 bei Klett Kinderbuch. 48 Seiten, empfohlen ab 6 Jahren und für alle.
Die wahre Geschichte von Rahafs Familie steht dabei stellvertretend für viele Menschen mit denselben Erlebnissen und Gefühlen: Eine in ihrer Heimat verwurzelte Familie und Kinder, die mit Heiterkeit und in Geborgenheit groß werden, bevor sich ihr Alltag durch den Krieg verändert und immer stärker von Zerstörung und Angst geprägt ist. Die Entscheidung vieles zurückzulassen, sich auf einen lebensgefährlichen Weg ins Unbekannte aufzumachen und dabei noch mehr zu verlieren, prägt alle Charaktere der Geschichte. Immer vor Augen zu haben nicht zurück zu können, aber vielleicht auch nicht willkommen zu sein, durch Elend und Widrigkeiten zu müssen, um keine Angst mehr um das Leben zu haben und weder in der alten Heimat noch im neuen Land eine Perspektive zu haben. Dabei zeigt sich vor allem in der Person von Rahaf die Wandlung von einem unbeschwerten zu einem selbstbewussten und dankbaren Kind, dass durch das Zerbrechen des Alltags und die Kriegs- und Fluchterfahrungen die kleinen Dinge zu schätzen weiß und voller Zuversicht das Leben in einem fremden Land beginnt.
Die klare, kindgerechte Sprache des auktorialen Erzählers mit dem Fokus auf Rahaf und ihre Perspektive macht die Emotionen, die schmerzlichen Verluste und das Hoffen von Rahaf und ihren Geschwistern nachvollziehbar. So drücken auch die ganzseitigen Illustrationen von Jan Birck anfangs farbenfroh und heiter einen gewöhnlichen Alltag aus, während die gezeichneten Szenen der Flucht und des Lebens in Deutschland eher düster die Enge und Angst der Menschen zeigen. Nur Rahafs Familie hebt sich in Farbe von der grauen Szenerie ab und transportiert dadurch Zuversicht.
Die eindringliche Geschichte, die Kinder durch das Fehlen von erschreckenden Details nicht überfordert, macht nicht nur auf universelle Weise Flüchtlingsschicksale sichtbar – der Fokus auf die kindliche Erlebnis- und Gefühlswelt hebt Menschlichkeit hervor, erzeugt Verständnis und weckt Mitgefühl. Dadurch entsteht im Fremden, Unbekannten eine menschliche Nähe, die so wichtig ist, um Integration zu fördern.
Nicht zuletzt ist dies durch das Erscheinen des Buches in Deutsch und Arabisch möglich, denn die Zweisprachigkeit regt Kinder zum Austausch an, ermöglicht den Kontakt zu anderssprachigen Kindern und schafft so gesellschaftliches Miteinander. Oder auch eigene Erlebnisse in der jeweiligen Muttersprache zu erzählen und zu verarbeiten. So ist dieses wunderbare Buch wie eine Brücke zwischen Menschen verschiedener Kulturen, unterschiedlicher Erlebnishorizonte und lässt Verständnis zu. Das zeigt mir mein Kind mit den Worten: „Kein Wunder – da würde ich mich auch unter dem Tisch verstecken, wenn ich das alles erlebt hätte. Kann ich das Buch morgen in die Schule mitnehmen? Ich möchte es gerne allen zeigen. Und vielleicht schaffe ich ja auch was auf Arabisch zu sagen.“
Warum hat uns dieses Buch überzeugt?
- Gibt Einblick in die Gefühls- und Erlebniswelt von Geflüchteten
- Eine gelungene Kombination aus Wort und Bild, die das Thema eindringlich vermittelt, ohne zu überfordern
- Schafft die Möglichkeit eines interkulturellen Austauschs und Miteinanders durch die Zweisprachigkeit
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Rezension, selbst gekauft – Werbung, da Markennennung – Bildrechte: Klett Kinderbuch Verlag
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